Ein Minentagebuch von der Insel Elba
entstanden bei einem Arbeitsaufenthalt
in der Casa Zia Lina der Dr. Robert und Lina Thyll-Dürr-Stiftung
19. August – 3. September 2008
In Vorbereitung auf meinen Elba-Aufenthalt stöberte ich in einem Reiseführer über die Insel, die als schönstes und größtes Juwel der zerrissenen Perlenkette der Venus ins toskanische Meer gefallen sein soll.
Ein anderes wertvolles Mineral Elbas ist oder war neben rund 150 verschiedenen kristallisierten Mineralien wie Azurit, Aragonit, Beryll, Calcit, Chrysokoll, Gips, Hämatit, Magnesit, Malachit, Pyrit, Quarz, Turmalin, Limonit, und vielen anderen, der Magnetit und die Eisenerzförderung. Die Vorstellung, aufgelassenen Förderanlagen, Kränen und Fabriksgebäuden nachzugehen, faszinierte mich.
Also begab ich mich auf eine Forschungsreise zu den Minen im Osten Elbas, ausgerüstet mit zwei Fotoapparaten, einem digitalen für die Farbfotos und einem analogen für schwarz-weisse Bilder...
Von einer Freundin aus Capoliveri wurden mir freundlicherweise historische Fotos und einige aktuelle aus der alten «Officina» (Werkstatt) Calamita und aus den Stollen in Ginevro zur Verfügung gestellt.
Cavatore: Mann der Arbeit
Monte Calamita: Magnetberg
«Sein Magnetfeld ist so stark, dass Kompassnadeln verrückt spielen, wenn sie die Halbinsel passieren.»
Mein Minentagebuch nimmt nicht den chronologischen, sondern den geografischen Weg von der Punta Morcone, Capoliveri, gegen den Uhrzeigersinn um den Osten Elbas herum bis zum Capo Pero und Cavo.
20. 8. 2008
So heisst ein Dorf zwischen der Punta Morcone, wo ich für zwei Wochen wohnen durfte, und der Mine Calamita.
Steil hinunter führt die Strasse zum Küstenort und noch steiler hinauf wieder hinauf zur Staubstrasse – immer wieder frage ich mich, ob das mein Wagen noch schafft und nicht rückwärts rutscht, um weder vorwärts noch kontrolliert rückwärts weiterfahren zu können. «Wir» schaffen es, eine Fahrt im angemessenen Schrittempo um Haarnadel-Kurven, herum welche gefühlsmässig in der richtigen Richtung zur anvisierten Strasse führen, nämlich zu der, welche zur Mine Calamita und weiter herum um die südöstliche «Flosse» der Insel Elba herumführt.
Gezeigt werden hier zwei historische Bilder mit den damals noch bestehenden Minen-Anlegestellen.
20.8.2008
Rechts der Strasse Richtung Süden zur Punta Calamita Anzeichen von einem ehemaligen Arbeitsgelände. Still vor sich hin dösende Bagger und in der Hitze brütende Hallen mit rostigen Wellblechdächern.
Ich lasse den Wagen stehen und schlüpfe unter einer Barriere durch um einen Zaun herum, auf dem zu lesen ist, dass hier nur Arbeitende Zugang hätten É. Keine Arbeitende mehr hier, also ist auch das Verbot hinfällig, denke ich.
Hier wurde ein Minen-Museum eingerichtet, welches zwei Jahre später (2008) nicht mehr in Betrieb war.
(Foto zur Verfügung gestellt)
schwere Gesteinsbehälter, gusseiserne Räder und Minenwagen, rostrot wie die in die Landschaft gebrochenen Terrassen, welche langsam von der Macchia zurückerobert werden.
Pinien säumen den geebneten Platz des Werksgeländes, bilden so eine Zinne vor der Kulisse des Meeres.
Einige hundert Meter weiter öffnet sich zur südlichen Küste der Halbinsel Calamita hin der Blick auf das Minengelände, die ehemalige Verladestelle, eine betonierte Mole und einige Gebäudekomplexe, dessen Kuben wie Treppenstufen der Bewegung des Hangs folgen.
Dahinter, weiter westlich die äusserste und letzte Terrassenebene. Eine gelbe Lake deutet auf minaralienhaltiges Gestein. Schwarze Kräne, Hütten auf Stelzen und Förderanlagen lassen die einstige Geschäftigkeit dieses Ortes erahnen. Immer noch ist ihm eine Majestät eigen. Der Kontrast zum regen touristischen Bootsverkehr, der das Kap umrundet, berührt mich eigenartig.
13.9.62: Es wird gebeten keine Ferien bis Ende des laufenden Monats zu verlangen, da die Tage bis dahin komplet voll seien É. Beamtenmässig klingendes, jedoch unbeholfenens Italienisch, erklärt mir meine Freundin.
(Das Bild wurde mir zur Verfügung gestellt)
27. August 2008
Nur mit einer Führung ist es möglich, in das Innere einer Mine zu gelangen. So nehme ich die Gelegenheit wahr und schließe mich einer Exkursion an, die nach Calamita und Ginevro führt.
Ginevro wurde von 1968 – 1971 zur modernsten Mine Elbas ausgebaut. Nur 40 Personen arbeiteten hier (alle aus Capoliveri), da der grösste Teil des Erzabbaus von elektronisch gesteuerten Maschinen verrichtet wurde. Die Arbeit fand ausschließlich unter Tag statt bei stetigen 18 Grad im Sommer wie im Winter und war besser bezahlt als die in den Minen, welche Tagabbau betrieben. Also waren diese Stellen begehrt trotz ständiger Dunkelheit.
Gesprengt wurde mit Plastiksprengstoff, wobei der Fels Schicht um Schicht abgetragen wurde. Riesige unterirdische Blasen entstanden. Diejenige, welche wir sahen, hat eine Dimension von 100 x 70 x 40 Metern und liegt 54 Meter unter dem Meeresspiegel.
Die auf den Grund der Höhle fallenden Brocken wurden dort von ferngesteuerten Baggern eingesammelt und zur Waschanlage und zu den Zerkleinerungsmaschinen weitertransportiert.
Die Magnetitadern reichen noch bis 114 Meter unter den Meeresspiegel.
1981 wurde die Miniera Ginevro wie auch die von Rio Marina (1982) aus politischen Gründen (?) geschlossen, erst zu 25 % ausgebeutet.
Was unsere Exkursionsleiterin Caterina Signorini betonte und was ich mir bisher nicht vergegenwärtigt hatte, dass sich die Landschaft seit dem über Jahrtausende seit den Etruskern andauernden Eisenabbau stark verändert haben muss. Die Höhe der Terrassenstufen blieb dabei immer die Gleiche, da nur von vorne Richtung Berg abgetragen wurde. Die Berge müssen also kleiner geworden sein und eine andere Form bekommen haben!
(Die Fotos 34a+b, 36, 36a wurden mir zur Verfügung gestellt)
24.8.2008
Vom Feriendorf Ripalto wandere ich eine halbe Stunde den sanft sinkenden Weg entlang Richtung Norden, bis ich rechts unterhalb der Strasse die charakteristischen in die Magnetit - haltige Felswand gehauenen Terrassen sehe. Gleich darauf entdecke ich auch den kleinen, auch in der Karte eingezeichneten See der Mine Sassi Neri.
Grün und still liegt er da in einer Mulde, die nur durch einen schmalen, von einem Felskamm gebildeten Steg vom Meer getrennt ist.
Ein schmaler Pfad führt durch niedriges Gebüsch hinunter in die Senke, und nach ein bisschen Klettern – diesmal trage ich geeignetes Schuhwerk – erreiche ich den gelblichen Sandboden neben dem von einem Schilfgürtel umgebenen Weiher. Blaue Libellen sirren. Am Abend wird mir erzählt, dass das Wasser Sulfite enthalte, die als Schönheitsmittel für die Haut gelten. Die Inselbevölkerung bade darum hier sehr gerne.
Der See wirkt auf mich geheimnisvoll und unberührbar. Dieses stille und ruhige Dasein will ich nicht stören.
Über den Kamm steigend gelange ich zu zwei kleinen Kieselstränden. Eine Brandungsmauer aus schwarzen Steinen zeugt von einer einstigen Verladestelle, ebenso ein betonierter Rest einer Mole bestückt mit Eisenstümpfen, den Resten von Trägern eines Stegs, über welchen wahrscheinlich das Gestein in Schiffe verladen wurde.
Die letzte Mine auf Elba wurde 1982 aus politischen Gründen (?) geschlossen.
(Zitat aus «Das Elba-Buch» von Elvira Korf)
21.8.2008
Besuch des Minerialienmuseums. vor allem die Fotos von Kurt Mergenthal, wenige historische schwarz-weisse, eine farbige Aufnahme von einer Demonstration gegen die Schließung der Mine interessieren mich.
Nördlich des Ortes ragt eine Pier auf rost-orangen Eisenstehern in’s Meer hinaus.
Wieder weist eine Tafel an desolatem Gitter auf das Verbot des Betretens hin. Allerdings gibt es gleich nebenan einen Strand, den man auf eigene Verantwortung aufsuchen darf.
Zu Gunsten besserer Aufnahme-Winkel nehme ich diese gerne auf mich.
Auf der Mole – einige Stützen sind über der Wasseroberfläche durchgerostet, tragen nicht mehr und sind so obsolet geworden – ist eine mit Rollen bestückte Rinne zu sehen, ein Gummibund hängt trostlos durch die Tramontana aus der Bahn geworfen, teils noch auf den Rollen, teils daneben herunter. Die Ruinen der Minen-Gebäude hier noch verzweifelter, rudimentärer auf einstige Aktivität verweisend.
Einheimische Spaziergänger erzählen mir auf meine Frage hin von der Cala Seregola, wo die Reste einer anderen Mine zu sehen seien.
22.8.2008
Auf dem Weg nach Cala Seregola entdecke ich links über mir einen durch waagrechte Stämme gesicherten Hang, der in Terrassen gegliedert ist. Das Auto lasse ich am Strassenrand und mache mich in Sandalen und nur mit dem Fotoapparat ausgerüstet auf zur näheren Erforschung. Eine mit Baumstämmen befestigte Wasserrinne führt den Hang herunter, ausgetrocknet bis auf einige rostige Laken, welche an felsigen Stellen liegen geblieben sind.
Höher hinauf treibt es mich – nur noch eine Kurve, um zu sehen, was sich weiter oben eröffnet É
Plötzlich ein Einschnitt in einem Felskamm, im rot-felsigen Durchbruch auf ungefähr fünf Metern Höhe eine gemauerte Türe. Weiterkletternd gelange ich in eine andere Welt. Vor mir eine farbige Landschaft verschiedener Sande und Mineralien um einen orange – braunen See in einer weiss – grauen, an Asche erinnernde Ebene. Nicht der erste Mensch in dieser Mondlandschaft scheine ich zu sein, die helle Fläche ist durchfurcht von spielerisch gezogenen Reifenspuren. Die Küsten entland des Mini-Meeres sind gesäumt von kalkweissen Rändern. Weiter gehend, mein Blick bleibt fasziniert auf die Bodenstrukturen geheftet, entdecke ich türkise Wasserläufe, grün umrandete Laken und vom entsprechenden Geruch angekündigt, gelbliches, Schwefel enthaltendes Gestein.
Einen weiterer Einschnitt im vor mir liegenden Hügel führt mich Richtung Meer. Auf der anderen Seite öffnet sich der Blick auf die Küste, das unglaubliche Blau des tirrenischen Meeres und unter mir die Minengebäude neben dem Strand in der Cala Seregola.
21. und 22.8.2008
Die Gebäude der Mine Seregola liegen zur Hälfte schon im Schatten. Wie in Calamita sind hier die Gebäudeelemente treppenartig an den Hang geschmiegt.
Teilweise sind die Dächer eingestürzt, sodass durch die gähnenden Fensteröffnungen das Innere der Räume und darüber hinaus der Himmel zu sehen ist.
Am nächsten Tag zeigt sich mir das Gelände im Mittagslicht, härter und unbarmherziger den Zerfall offenbar machend. Eine Stahl-Glas-Türe lehnt weggeklappt von der Öffnung am Balkongeländer, scheint als Lichtfänger und Fächer zu fungieren.
Die Schwarztöne des Vorabends zeigen sich nun in den verschiedensten Schattierungen von Braun bis Orange und Rostrot.
Daneben am Strand spielen unbekümmert Kinder im graphitfarbenen Sand, der von Glimmerplättchen durchsetzt ist und auf der Haut glitzernde Spuren hinterlässt. Die Sommerfreuden am Meer bleiben ungetrübt angesichts der Ruinen und der Geschichtsträchtigkeit dieses Geländes.
21.8.2008
Einen Zaun umgehend finde ich einen Weg, der durch einen Wald hinunter zu einem Strand führt. Südlich von diesem entdecke ich ein zerfallendes Anwesen. Es muss das Capo Pero sein.
Vom Nordwind zerzaust bröckelt hier ein Eisentisch, dort auf der Umfassungsmauer eine gusseiserne Vase, deren Bewohnerin, eine Yukapflanze, sich vom Zahn der Zeit und der salzhaltigen Luft nicht beirren lässt, vielmehr die Gunst der Stunde nützt und weiter austreibt. Langsam zerfallen auch die Balustraden der Terrassen und geben den Blick auf die Steilküste frei.
Es ist Abend, die Nordostküste Elbas liegt im Schatten, Silber- und Blautöne herrschen vor. Piombino gegenüber am Festland leuchtet milchig – golden in der Abendsonne und die Windböen zischen über die Wasserfläche, sodass die Segelboote hoch am Wind lustvoll krängend dahingleiten.