Brigitta Höpler
Wo sich das Wasser mit dem Land verbindet Eröffnung der Ausstellung von Silvia Grossmann und Alfred Graf
Es ist mir eine große Freude, diese Ausstellung von Alfred Graf und Silvia Grossmann zu eröffnen, wir arbeiten nicht das erste Mal zusammen. Letztes Jahr habe ich in Silvia Grossmanns Galerie „Atrium ed Arte“ eine Ausstellung von Alfred Graf eröffnet: „Die Welt Stück für Stück – Vielfalt“. Wolfgang Bleier hat in der Ausstellung gelesen. Diesmal ist Silvia auch als Künstlerin beteiligt, ich freue mich sehr, die Arbeiten von Alfred und Silvia zu verbinden, mit Worten zu begleiten.
Eine Ausstellungseröffnung ist immer eine Verbindung zwischen Worten und Bildern. In diesem Fall Bilder und Objekte, deren Qualität unter anderem in der Stille, in der Wortlosigkeit liegt, wie auch in der Natur etwas Stilles, Wortloses, ja Vollkommenes liegt. Trotzdem ist es sehr inspirierend und vergnüglich, Worte und Gedanken zu diesen Kunstwerk zu sammeln, mit Alfred und Silvia darüber zu sprechen, Berührungspunkte zu suchen.
„Wo sich das Wasser mit dem Land verbindet“ da gibt es Berührungspunkte. Zwischen Lebenslauf und Werklauf gibt es Berührungspunkte. Zwischen den an der Ausstellung Beteiligten gibt es Berührungspunkte. Der Ausstellungstitel inspirierte mich zur Suche nach Verbindungen, nach Berührungspunkten.
Ein wesentlicher Berührungspunkt rund um diese Ausstellung ist die Insel Losinj in Nordkroatien, wie auch auf der Einladungscollage zu sehen ist. Sowohl während meiner Aufenthalte in Losinj, wie auch diesen Sommer, als Begleitung zu den Arbeiten von Silvia Grossmann und Alfred Graf, die ich im Kopf mit mir herumgetragen habe, hat mich ein Buch von Claudio Magris begleitet: Microcosmi, auf Deutsch „Die Welt en groß und ein detail“. Ein Titel der nicht unähnlich ist zu „Die Welt Stück für Stüc“. Claudio Magris beschreibt Landschaften, in denen der Kontinent und das Meer aufeinander treffen, und er beschreibt Orte, an denen sich das Wasser mit dem Land verbindet, wenn er über die Lagune zwischen Triest und Grado schreibt, oder über die Absyrtiden, die Inseln der nördlichen Adria, zu denen Losinj gehört.
„Mikrowelten haben ihre Entsprechung im Großen, im Sediment liegt der Bauplan eines ganzen Landstrichs“ verborgen“. sagt Alfred Graf. Und Claudio Magris: „Man begegnet dem Grossen im Kleinen, ohne dieses Kleine wäre die große Geschichte inexistent.“ Claudio Magris beschreibt einen Teil seiner Welt, en groß, mit all seinem Wissen um historische Zusammenhänge, um das Ganze, aber mehr noch ein détail. Er entblättert Schicht für Schicht dieser Geschichte, verwoben mit ganz persönlichen Erlebnissen, Erinnerungen, Wahrnehmungen.
Ähnlich das Arbeitsprinzip von Silvia Grossmann und Alfred Graf; „die Welt Stück für Stück“ und „das Meer Stück für Stück“. Bei beiden ist ein Wissen, eine Ahnung um das Ganze zu spüren, so wie eine feinsinnige, genaue Wahrnehmung des Details; ein wissender, ein erinnernder wie zugleich ein unvoreingenommener, weiter Blick. Wissend, in dem der Blick alle gesehenen und erlebten Landschaften enthält, und unvoreingenommen, bereit, sich überraschen zu lassen, als wäre diese Landschaft, dieses Meer, dieser Himmel der erste.
Die amerikanische Malerin Agnes Martin schreibt über die Entstehung von Kunst: „Um Kunstwerke herzustellen, die Empfindungen anregen und Augenblicke der Vollkommenheit erneuern, muß ein Künstler diejenigen Werke erkennen, die seine eigenen Augenblicke der Vollkommenheit darstellen“. Für mich entsteht Kunst in dem Augenblick, in dem sich der Künstler mit dem Gegenüber (eine Landschaft, eine Idee, ein Blick, ein Augenblick, …) verbindet. In diesem Augenblick verschmelzen „empfangen“ und „künstlerische Umsetzung“. Nehmen und Geben. Berührt werden und Berühren. Auf sich wirken lassen und wirken. Anschauen und anschaulich machen. Sich überraschen lassen und überraschen. Fragen und Antworten. – Augenblicke der Vollkommenheit.
Alfred Graf unternimmt lange Wanderungen, Stränden und Flüssen entlang, hinauf in die Berge, durch die Wälder. Er sucht das Konstante, das Bleibende und findet es im Gestein, im Sand. „Lange Wanderungen machen mich immer mehr zu einem Teil der Natur. Schritt für Schritt. Bis in jene Schichten des Seins, in der physische und psychische Übereinstimmung liegt. Dort wo die Essenz des Speziellen ruht, die das Wesentliche wählen lässt“. (Alfred Graf)
Er sammelt Steine, Sand, Muscheln. Findet ganz besondere Farben in der Landschaft, und bindet das flüssige Material mit Baumwolle. Durch diese Methoden entstehen oft ähnliche Strukturen wie in der Landschaft selbst, Ansammlungen, Verdichtungen, Falten, Verwerfungen, - ungewollte und unvorhersehbar. Er nimmt das Material, die Farben aus der Landschaft, und setzt das Bild der Landschaft neu zusammen, Stück für Stück.
In dem Buch „Mehr Meer“ von Ilma Rakusa schreibt die Schriftstellerin von der „wandelbaren Unwandelbarkeit des Meeres“, zu diesem Gedanken hatte ich sofort die Fotografien von Silvia Grossmann im Kopf. Ihr Blick folgt den Mustern die die Wellen dem Sandstrand und der Wasseroberfläche geben, den Wellen, die heranrollen und zurückweichen, dem Land, das mit den Gezeiten auftaucht und wieder verschwindet, dem Himmel, dem Licht, das dem Meer die Farbe gibt.
Als Seglerin braucht sie das Wissen um die Gezeiten, um die Winde, um die wandelbaren Verbindungen zwischen Land und Wasser, um die Tiefen und Untiefen, um die Ankerplätze genauso wie das Hingegebensein an die Weite des Meeres. Vor zwei Tagen, bei einem Besuch in ihrem Atelier hat mir Silvia einen Artikel aus der Zeitschrift „mare“ gegeben, über das Symbol des Ankers, ich möchte gerne ein Zitat daraus vorlesen: „Die symbolische Wirkkraft des Ankers beruht auf der Kombination der Zweiheit von Wasser und Erde. Er steht daher auch für die Verbindung von Unvereinbarem wie Himmel und Meeresgrund, Endlichkeit und Unendlichkeit, Körper und Geist“ (Nicole Hegener)
Im Segeln verbinden sich für mich Lebens- und Werklauf von Silvia.
Manche Fotos bearbeitet sie nach ihren Bildvorstellungen, nach ihren Vorstellungen von Komposition und Farbe. Für viele ihrer Arbeiten müsste der Ausstellungstitel erweitert werden: wo sich das Wasser mit dem Himmel verbindet. In anderen Arbeiten öffnet sie ein Fenster in die Welt unter Wasser.
Uns Betrachtern, Betrachterinnen der Ausstellung wünsche ich, dass wir uns die Kunst von Alfred und Silvia Stück für Stück erschließen, dass wir nicht nur anschauen, sondern erleben (was eine innere Beteiligung voraussetzt); Wiederkennen und Überraschung, und eben dieses „sich verbinden“.
Brigitta Höpler
„Glaube, Hoffnung, Anker“, von Nicole Hegener, in: mare No. 79, April/Mai 201
„Die Welt en groß und en détail“, Claudio Magris, DTV, München, 200
„Mehr Meer – Erinnerungspassagen“, Ilma Rakusa, Literaturverlag Droschl, Graz, 2009
„Writings/Schriften“, Agnes Martin, Cantz, 1991